Workshops

Dieser Text, mit dem ich mich bei Joe Pass für den inspirierenen Gitarrenunterricht, den ich Ende der 80er Jahre von ihm erhielt, bedanken möchte, entstand mit freundlicher Unterstützung von Joe’s zweiter Ehefrau Ellen Lüders-Pass. Foto: Dietmar Liehr

Joe Pass hieß eigentlich Joseph Anthony Passalaqua und er wurde am 13. Januar 1929 in New Brunswick, New Jersey geboren. Der zusätzliche Name "Jacobi", in vielen Jazz-Lexika zu finden, existierte nie. Joe meinte dazu: "I don't know where they got that from" (Ich weiß nicht, woher die das haben). Joe’s Familie zog bald nach Johnstown, Pennsylvania um, wo Joe den Großteil seiner Jugend verbrachte. Seine erste Gitarre (eine Harmony für 17$) schenkte ihm sein Vater Mariano zu seinem neunten Geburtstag, nachdem seine Frau ihm riet: "Wir müssen Joe mal was vernünftiges schenken". Joe liebte es, zu erzählen, dass er sich die Gitarre gewünscht habe, nachdem er einen Western mit Gene Autry gesehen hatte. Der Mann auf dem Pferd mit der Gitarre habe ihn tief beeindruckt. Eigentlich hätte er aber doch lieber das Pferd und nicht die Gitarre geschenkt bekommen. Diese Geschichte mag wie viele andere, die Joe über seine Gitarrenanfänge erzählte, falsch sein. Er dachte sich immer wieder neue Varianten für seine Interviews aus. 

Gitarrenunterricht bekam Joe jedenfalls zunächst von einem Freund seines Vaters Mariano, der jedoch nach kurzer Zeit meinte „Vergiss es! Der Junge lernt das nie.“, unter anderem wegen Joes relativ kurzen Fingern. Joes Vater jedoch bat diesen im Anschluss inständig, Joe weiteren Gitarrenunterricht zu geben, wobei man von professionellem Unterricht eigentlich nicht reden kann, eher vom Anlernen einiger Akkorde zu italienischen Liedern. Dann dauerte es nicht lange und Joe konnte viel besser Gitarre spielen als sein Lehrer. 

Zu dieser Zeit hörte Joe zudem viel Radio, vor allem Interpreten, die nicht Gitarre spielten, sondern beispielsweise Klavier. Joe hörte zu der Zeit zum ersten Mal den Saxophonisten Charlie Parker. Von sich aus versuchte er, dessen Songs nachzuspielen.

Joes Vater hatte sehr großen Einfluss auf seinen Sohn. Er sang ihm oft Lieder vor, die Joe dann nachspielen und ihre Melodie auf der Gitarre ausschmücken sollte. Er selbst konnte nicht Gitarre spielen, besaß jedoch ein recht ausgeprägtes (musikalisches) Verständnis. Und er übte großen Druck auf seinen Sohn aus. Jeden Tag musste Joe insgesamt 6 Stunden täglich üben. Wenn ihn sein Vater bei anderen Tätigkeiten erwischte, bekam er Tritte, weshalb er sich noch Jahre später recht eigenartig bewegte:
„Ich habe ja immer meinen Hintern einziehen müssen. Dad’s Befehl lautete: spielen, spielen, spielen! Er war kein Musiker – er war Stahlarbeiter – aber er schien zu wissen, was nötig war. Ich fragte zum Beispiel: „Was soll ich denn spielen?“ und er antwortete: „Spiel doch das...“ und pfiff eine kleine Melodie, die ihm gerade einfiel. Er brachte stapelweise Klaviernoten mit nach Hause und ich musste mich hinsetzen und diese Noten üben. Es gab eine Radiosendung am Sonntag, und Dad ließ mich mit meiner Gitarre neben dem Radio sitzen. In dieser Sendung gab’s viel wilde Flamenco-Musik und Dad sagte: „Hör das raus und spiel das!“ Das war wirklich hart, denn ich war erst elf Jahre alt. Diese sechs Stunden am Tag Übungsroutine dauerte ca. fünf Jahre. Dad stand um sechs Uhr auf, weckte mich um halb sieben und ich übte vor der Schule, die um acht Uhr anfing. Um 15 Uhr kam ich von der Schule, hatte etwas Freizeit aber mein Vater kam schon um 15.30 Uhr von der Arbeit zurück und ich übte von 16 Uhr bis zum Abendessen. Nach dem Abendessen übte ich bis 21 Uhr. Am Wochenende, wenn ich nicht am nächsten Tag zur Schule musste, kam es auch schonmal vor, dass ich bis ein Uhr nachts üben musste. Dad sagte: „Ich mache das, damit du kein Stahlarbeiter werden musst.“ Ich kam an einen Punkt, an dem ich die Gitarre wirklich gehasst habe. Mein Vater wurde einmal sehr krank und kam ins Krankenhaus und konnte mich nicht mehr zum Üben animieren. Ich tat dann all die Dinge, die ich nicht hätte tun sollen, meine Mutter war ein echter Softie."

Joe verlebte so nicht die übliche Jugend eines Jungen in seinem Alter - er spielte kein Fußball und balgte sich nicht mit Gleichaltrigen herum. Aber immerhin erkannte sein Vater Joes Begabung.

Joes Vater und auch seine Mutter haben, bewusst oder unbewusst, das Richtige getan: Sein Vater nämlich fragte immer, wenn kleinere italienische Gruppen oder Kapellen kamen, ob Joe nicht ein wenig bei ihnen mitspielen könne. Und schließlich hatte Joes Vater in einem Orchester einen Freund und fragte ihn dann: „Kann Joe nicht, wenn du auf ihn aufpasst, in den Schulferien mit euch reisen?“ und der stimmte zu. Dort spielte Joe alles Mögliche von Tango und Walzer bis hin zu Jazzstücken. Joe hatte Glück, denn seine Mitspieler waren erfahrene jazzorientierte Musiker. Die kannten die Musik von Ben Webster, Coleman Hawkins und Roy Aldridge in- und auswendig. Joe war zwölf Jahre alt und improvisierte auf der Bühne. Joes Mutter besuchte eines Tages ein Kino, in dem es damals ein Orchester gab, das in den Pausen spielte. Auf der Bühne entdeckte sie einen Verstärker, der aussah wie der von Joe. Dann trat der Dirigent vor das Mikrophon und sagte: „Wir haben heute einen jungen Mann dabei...“ um dann sehr vielversprechend "Joe Martin“ anzkündigen. Joe spielte zu diesem Zeitpunkt auf einer Martin-Gitarre und Amerikaner konnten den Namen „Passalaqua“ nur schwer aussprechen. Seine Mutter ahnte nichts von diesem Auftritt und sah dann ihren Sohn auf der Bühne. Joes Vater Mariano hatte dieses Konzert arrangiert. So streng wie sein Vater oft mit Joe war, so hat er ihm doch immer wieder weitergeholfen. Und obwohl Joe damals nicht gut auf seinen Vater zu sprechen war, hat er später erkannt, dass Marianos Engagement ihm das Rüstzeug für seine spätere Karriere gab.

Neben langem Üben unter der strengen Regie seines Vaters war Joes überragendes musikalisches Gehör ein weiterer Grund für sein außergewöhnliches Können. Er übte später auch nicht mehr viel, und wenn eine Band oder ein Musiker vor einem Konzert mit ihm proben wollten, sagte er: „Ich musste als Kind so viel spielen, ich muss nicht mehr üben.“ Auf Tournee konnte er sich oft über andere Musiker amüsieren, die im Hotelzimmer nebenan unaufhörlich ihre Stücke übten. Er sagte: „Hätten die mal so viel geübt wie ich, dann bräuchten sie es jetzt nicht mehr nachzuholen.“

Um 1949, im Alter von zwanzig, war Joe im Zentrum des Geschehens auf New York’s 52. Straße und jammte mit Leuten wie Dizzy Gillespie, Coleman Hawkins und Art Tatum. Leider wurde er bald drogenabhängig. Die folgenden Jahre wurden von Joe später als ein Totalverlust bezeichnet: „That were ten lost years.“
Er reiste umher, spielte wo er konnte, aber er lebte „in den dunklen Ecken der Gesellschaft“. Joe erzählt: „Ich dachte, ich könnte mit Drogen ein Spielgefühl herbeirufen. Das war ein Fehler, denn man erreicht die meiste Produktivität, wenn man komplett nüchtern ist, weil man seinen Körper unter Kontrolle hat, und nur dann kann man die Musik die Kontrolle übernehmen lassen.“

1960 entschloss sich Joe, sich in eine Drogenrehabilitationseinrichtung in Kalifornien einweisen zu lassen. Drei Jahre später verließ er die Synanon-Klinik clean und mit einer neuen positiven Einstellung zum Leben. Noch in der Klinik entstand die legendäre Schallplatte "Sounds of Synanon".

Er fing an, Konzerte in Los Angeles zu spielen, nahm Schallplatten auf und war bald wieder ein äußerst gefragter Gitarrist. Nachdem er zwei Jahre in George Shearings Orchester spielte, landete er 1973 bei Norman Granz’s Label Pablo. Hier fand er glücklicherweise den künstlerischen Raum, den er benötigte. Die von Norman Granz produzierten Alben „Virtuoso“ brachten ihm weltweite Anerkennung als Meister der Solo-Jazz-Gitarre. Sein Spiel wird noch heute hauptsächlich mit dieser Kunst in Verbindung gebracht, Joe Pass war jedoch auch als Single-Note-Spieler Weltklasse. Joe starb am 23. Mai 1994 und hinterließ glücklicherweise eine umfangreiche Dokumentation seines Spiels auf Schallplatten und in Notenbüchern. In den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens erhielt er endlich die Anerkennung, die er eigentlich Ende der 50er Jahre schon verdient hatte.