Peter Autschbach in Japan
Nach der Ankunft darf erst mal gestaunt werden, und zwar über den Blick in das südliche Tokio jenseits des riesigen Bahnhofs aus dem 27. Stock unseres Hotels in Shinagawa. Man verliert einen Tag bei der Reise nach Osten, das erste Konzert war dann schon am zweiten Tag nach der Ankunft, das war hart, weil es in puncto Jetlag ja doch einige Tage braucht, bis der Körper sich angepasst hat.
Am Abend dann das erste typische japanische Essen: roher Fisch in allen Variationen. Das schmeckt interessant bis gut, der arme Hummer, der lebend auf den Tisch kommt, tut nicht nur meiner Freundin Selina so leid, dass sie ihn nicht essen mag. Anstandshalber wird ein Stück probiert, hmmm, oishii, sagt man hier eigentlich (lecker), Selina findet es dann doch nur "interesting". Die Getränkekarte kann wohl kaum ein Europäer lesen und eine englische Übersetzung gibt's nicht. Zum Glück sind die Gastgeber Tadayuki und Kiyomi Fujii uns bei der Auswahl behilflich, es gibt Weißwein für die Dame und japanisches Bier für den Herrn, das übrigens recht gut schmeckt.
Ein junger Mann ist mit dem Erstellen von Foto- und Videomaterial beauftragt, er begleitet uns während der gesamten Reise und er macht viele Fotos und zeichnet alle Konzerte auf Video auf.
Sato macht beruflich Wrestling-Videos, der kennt sich also bestens aus. Sato ist auch derjenige, der während des Essens den Hummer (und noch viel mehr) fast allein verdrückt, am nächsten Tag wird er mit vollem Bauch darum sehr lange schlafen. Gastgeber Fujii und seine Frau Kiyomi sind sehr nett (sie und Selina sind vom ersten Augenblick an ein Herz und eine Seele) und wir haben viel Spaß miteinander. Der von ihnen für den nächsten Tag empfohlene Shibuya-Trip muss wegen unseres Jetlags erst mal ausfallen. Lieber noch ausruhen und dann entspannt das erste Konzert machen. Es ist ja noch Zeit genug.
Die Gitarren durften wir beim Hinflug in die Kabine mitnehmen, das ist absolut nicht selbstverständlich, darum kann ich hier die in den letzten Tagen oft geschmähte Lufthansa mal loben. Mein Effektgerät (Fractal Audio Axe-Fx) hat jedoch beim Transport im eiskalten Gepäckraum gelitten, denn die Bedienknöpfe haben den Geist aufgegeben. Das Problem hat sich jedoch zum Glück nach zwei Tagen verflüchtigt, das war wohl Kondenswasser auf den Platinen.
Am Freitag geht's dann nachmittags zum "Minotaure 2", dem ersten Veranstaltungsort. Die japanische Pünktlichkeit ist überall zu spüren. Hier könnten selbst Schweizer noch was lernen. Um Punkt 16 Uhr öffnen sich wie vereinbart die Türen und es gibt Einlass für den Soundcheck. Fujii möchte für das Vorprogramm seine Yairi-Gitarre benutzen, allerdings hat die keinen Tonabnehmer. Er entschließt sich dann, meine Striebel zu versuchen. Deren Hals ist etwas breiter als bei Fujiis Gitarre, das ist ungewohnt für ihn. Die Tontechnikerin spricht wenig Englisch und sie missversteht meine Wünsche. Statt weniger Hall macht sie mehr, statt weniger Bass dreht sie auf. Aber Fujii übersetzt und bald klingt es sehr schön und das Konzert kann beginnen.
Bei den Begrüßungen wird sich nicht nur verbeugt, man gibt mir die Hand und das tun alle, die uns an diesem Abend begrüßen. Wieder ein Japan-Mythos weniger. Mit Leuten, die ihnen am Herzen liegen, scheuen die Japaner auch keine Umarmung, das ist gut, alles wirkt so viel lockerer.
Fujii beginnt das Programm, nachdem das Publikum die Plätze eingenommen hat. Bestimmt 10 Leute aus dem Publikum tragen T-Shirts mit "Autschbach-Summer-Breeze"- Aufdruck. Das hätte ich nicht erwartet, es macht mich froh und stolz, die Geste hat ihre Wirkung nicht verfehlt! Den Gesten, weniger den japanischen Ausführungen unseres Gastgebers kann ich entnehmen, dass er wohl gerade erzählt, wie er auf der YouTube-Plattform auf mich aufmerksam geworden ist. Dann spielt er "Walkin'", vergreift sich mal, weil es nicht seine Gitarre ist, auf der er da spielt. Die nächsten zwei Konzerte wird er deshalb auf der Gitarre beginnen, auf der er die Musik auch geübt hat. Das Publikum ist jedoch von seinem Spiel genau so begeistert wie ich und er wird mit dem verdienten Applaus belohnt.
Was ich gern spielen möchte, habe ich mir auf einer Set-Liste notiert, dort stehen auch ein paar erste japanische Floskeln. "Konbanwa" sage ich, und man wünscht auch mir einen guten Abend. "Watashi wa Peter Autschbach des, Tanoshinde kudasai" (Ich bin Peter Autschbach und wünsche euch viel Spaß beim Konzert). Es war wohl korrekt ausgesprochen, denn man versteht mich, lächelt zurück. Ich fange mit "Your Eyes" an, da kann ich erst mal ganz ruhige Töne spielen, bevor es überhaupt rhythmisch wird. Das hilft gegen Lampenfieber, unter dem ich glücklicherweise nur in den ersten Sekunden von Konzerten leide. Wenn dann alles läuft, geht das schnell weg und die Musik fängt an, zu regieren.
Ich hatte vorher überlegt, ob ich überhaupt singen soll, weil das mit dem Singen bei mir so eine Sache ist. Da ich nicht über bestimmte typische Eigenschaften einer volltönenden Stimme verfüge, kann ich als Sänger nur mit Parametern überzeugen, die nichts mit meiner Stimme zu tun haben. Der "Suitcase Blues" von der neuen CD "You And Me" kommt allerdings hervorragend an, und ich bin glücklich, dass ich auch mit dem Gesangsstück dankbare Zuhörer gewonnen habe. "Walkin'" spare ich mir diesmal, das hat Fujii ja schon zum Besten gegeben. Dafür gibt's einiges Neues, zum Beispiel den "Drachenflug" von der neuen Autschbach-Illenberger-CD. Und "You And Me" für Selina.
Während der Musik herrscht im Publikum absolute Stille, man hört interessiert und konzentriert zu, das ist so schön, für die Leute zu spielen. Erst in der Pause werden viele (!) Fotos gemacht, auch nach dem Konzert ist erst einmal Posing angesagt. Ein gewisser Herr Inaba hat Hunderte von wunderschönen Bildern geschossen, die er mir später auf CD gebrannt überreicht, das ist eine wunderschöne Erinnerung an das Konzert. Sato hat alles auf Video aufgezeichnet, seine Filme werden bald in meiner Post liegen.
Der Taifun Phanfone macht uns Sorgen. Unser Flug nach Sapporo droht auszu-fallen. Zum Glück haben wir einen Puffer-Tag vor dem nächsten Konzert. Am Dienstag ist der Flug geplant, Montag fängt es dann an, tüchtig zu stürmen. Auf dem Bild sieht man neben dem Wind übrigens das typische Outfit junger japanischer Frauen: Bluse, Stiefel und Hotpants. Der transparente Regenschirm gehört in Tokio einfach dazu, genauso wie der Mundschutz, den vor allem die jungen Leute (vor allem aus modischen Gründen) tragen. Von denen sehen wir am Montag Abertausende, denn der Trip nach Shibuya führt uns mitten ins Herz der Metropole, dort, wo vor allem junge Menschen unterwegs sind, die die Zukunft Japans bestimmen werden. Es ist verwunderlich: Trotz der vielen Leute rempelt niemand den Anderen an. Alle halten respektvoll Abstand zueinander, sodass selbst bei vollkommen überfüllter Kreuzung nie das Gefühl von Enge aufkommt. Man fühlt sich sicher, ähnlich wie in Singapur, als ich 2011 dort gespielt habe, war auch dieses Gefühl von Sicherheit da, kein Wunder, denn die Kriminalität wurde ja dort durch drakonische Strafen ausgerottet. In Japan wirkt Freundlichkeit ehrlicher.
Tatsächlich: Unser Flug wird gestrichen, wird allerdings am selben Tag abends nachgeholt. Auch die Japan-Airlines sind sehr kulant mit den Gitarren, danke.
In Sapporo steht nach einem überaus lustigen Lammfleisch-Grillen die Olympia-Sprungschanze auf dem Programm. Von dort haben wir einen unglaublichen Blick über die Millionenstadt, in der es um Einiges kühler ist als im sommerlich warmen Tokio.
In Sapporo gibt es jede Menge frische Luft, allerdings nicht direkt auf dem Fischmarkt, der sich sehen lassen kann. Hier gibt es frische Meerspinne, Austern, Tintenfischmünder und andere mehr oder weniger appetitliche Köstlichkeiten. Sato zeigt uns, wie man Austern isst, das werden wir ihm wohl niemals nachmachen. Ein winzig kleines Stück haben wir jedoch probiert, na, ganz so "oishii" ist das allerdings nicht, da muss man schon auf so was stehen.
Die Meerspinnen gibt's in allen Variationen, die werden ja riesig groß, einige sitzen lebend in Aquarien, andere sind mundgerecht fertig gemacht und zum Verkauf drapiert.
An Essbarem gibt es in Japan alles, und das Allermeiste schmeckt auch sehr gut. Man kann in Tokio Gerichte aller Nationalitäten speisen, der Umrechnungskurs Euro/Yen ist gerade recht günstig, sodass das Essengehen in Japan erschwinglich geworden ist.
Einmal haben wir es riskiert und in einem japanischen Restaurant auf gut Glück auf die Speisekarte gezeigt. Was man uns brachte, war sehr gut, allerdings war das Beste ein Thailänder in Shibuya, der wurde gleich zwei mal hintereinander mit Selinas und meiner Anwesenheit betraut.
In japanischen Restaurants ist es üblich, dass die Gerichte vor dem Restaurant in plastinierter Form anzuschauen sind, teilweise sieht das richtig echt aus. Und alles ist sehr sauber, auch die Toiletten, selbst auf großen Bahnhöfen. In Japan hat sich offensichtlich die HiTech-Toilette durchgesetzt, mit Dusche und Fön. Wer's mag ...
Abends dann das Konzert in Sapporo, in einem kleinen Café (Café Kian), viele Leute kommen, die Fujii von früher kennt, denn er ist hier geboren und aufgewachsen.
Auch hier ist das Konzert ein voller Erfolg, man hört begeistert und konzentriert zu und es werden viele neue Bekanntschaften gemacht. Shimode war mal Gitarrist und er hat mit Fujii zusammen in deren erster Band gespielt. Fujii benutzt diesmal seine Gitarre und liefert mühelose, wunderschöne Versionen von "Walkin'" und "Take Your Time" ab.
Nach dem Konzert sind nicht nur wir ganz geschafft, denn es war ein extrem langer Tag und alle fallen ins Bett.
Am nächsten Tag ist dann der Rückflug nach Haneda, Tokio. Zurück zum gleichen Hotel in Shinagawa, diesmal ist es der 30. Stock und an einem schönen Morgen kann man von dort aus sogar den Fujiyama sehen.
Apropos Weitblick: Den hatten wir vom Tokyo Skytree, seines Zeichens zweithöchstem Gebäude der Welt. Die erste Plattform hat mir gereicht, denn ich leide unter latenter Höhenangst. 350 Meter waren dann auch schon genug, um mir ein sehr flaues Gefühl in der Leistengegend zu bescheren. Aber der Blick vom Tokyo Skytree ist wirklich atemberaubend, das lohnt sich und man sollte das bei einem Aufenthalt dort keinesfalls versäumen. Normalerweise wartet man dort mehrere Stunden, wir hatten Glück und konnten sofort durchmarschieren.
Die wichtigsten buddhistischen Tempel in Tokio sind schnell besucht, dort ist der Eintritt frei. Der Meiji-Schrein ist von einem ausgedehnten Waldstück umgeben, das ist eine grüne Oase inmitten der Betonwüste. Hier hört man auch Vögel, die wissen schon, wo sie sich aufhalten müssen.
Das dritte und letzte Konzert ist dann in Nakano im Do-Nichi-Café. Das beginnt schon nachmittags, also heißt es "früh aufbauen". Die improvisierte Bühne aus leeren Bierkisten ist durch eine schicke Reismatte kaschiert und die Anlage klingt vorzüglich. Sato ist neben der Videofilmerei und dem Fotografieren auch für die Anlage und deren Bedienung zuständig. Der Mann arbeitet wie ein Pferd, da kann man nur dankbar dafür sein.
Im Hotelzimmer in Shinagawa habe ich mit Selina ein Duo-Stück eingeübt ("Shinagawa Station"). Das haben wir gleich am Anfang des Konzerts im Do-Nichi-Café aufgeführt, es war ihr erster Auftritt vor Publikum. Na klar, sofort in Japan... Das Stück kam sehr gut an, trotz kleinem Verspieler.
Es ist eng im Café, hier wird jeder Quadratmeter generalstabsmäßig verplant, und es ist unglaublich, wie viele Gäste in dem kleinen Raum Platz finden. Es ist in der Tat Kiyomis Café, das betreibt sie am Wochenende, in der Woche ist an gleicher Stelle Fujiis Architekten-Büro. Es dauert eine Stunde und das Büro wird zum Café, die Rückverwandlung dauert ca. zwei Stunden. Jeder fühlt sich sofort wohl an diesem Ort, Kiyomi ist eine Meisterköchin und sie hat eine Menge treuer Kunden, die in ihr Café kommen, wann immer sie können. Wir trafen eine Dame, die uns erzählte, dass sie das Café an jedem Wochenende fast den ganzen Tag besucht. Kiyomi betreibt das Do-Nichi mit Leidenschaft, die Menschen spüren das. Die Art und Weise, wie sie Selina umarmt, sagt viel über sie aus.
Das Do-Nichi ist in der Tat ein sehr schöner Ort, eine Insel mitten im tosenden Ozean. Ein ruhiger Ort für Gespräche und gute Musik. In den letzten Wochen spielte Fujii vor allem Autschbach-CDs, er hat sie alle und es dauert eine Weile, bis sein Player beginnt, sich zu wiederholen, denn es gibt mehr als 200 Songs von mir auf seiner Festplatte. Nicht weniger als zehn Plakate mit meinem Foto hängen an den Wänden, man kann nicht übersehen, wer hier ein Konzert spielt. Es ist richtig gemütlich und ich habe schon am Anfang des Konzertes das Gefühl, dass alles funktionieren wird, was ich auch versuche. Nun ist es nicht immer gesagt, dass das Konzert, bei dem man sich besonders gut gefühlt hat, auch das Beste war, deshalb bin ich noch einmal mehr gespannt auf Sato's Videoaufzeichnungen.
Nach dem Konzert sind alle rundum zufrieden und glücklich, denn die Musik hat hier Menschen zusammen gebracht!
Fujii plant, nächstes Jahr an einem meiner Workshops in der Toskana teilzunehmen. Das wäre schön, ich könnte ihm dann (wenn er schon mal in Europa ist) vielleicht auch hier in Deutschland Einiges zeigen, er war noch nie hier.
Fest steht, dass der Trip für alle Beteiligten eine Freude war. Japan ist sehenswert und wir möchten gern wiederkommen. Wir haben sehr viele nette und interessante Menschen kennen gelernt, viele hochinteressante Gespräche geführt und jede Menge wertvoller Eindrücke mitgenommen.
Dafür bin ich sehr dankbar. Schön, dass Menschen durch das Internet zusammenfinden, die sich ansonsten wohl niemals kennenlernen würden.
Bis bald, Fujii und Kee, bis zum nächsten Mal :-)